Im Gesetzentwurf der Ampel zu irregulärer Migration findet sich ein brisantes Detail: Uneigennützige Helfer im Mittelmeer, etwa von “Sea-Watch” oder “Mission Lifeline”, könnten künftig so kriminalisiert werden wie gewerbsmäßige Schleuser.

Während das Bundesaußenministerium von Annalena Baerbock (Grüne) Fördergeld für Seenotretter im Mittelmeer zur Verfügung stellt, plant das Innenministerium offenbar, dieselben Seenotretter in Zukunft strafrechtlich verfolgen zu lassen.

Eine entsprechende Klausel findet sich im Gesetzentwurf “zur Verbesserung der Rückführung”, den Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kürzlich dem Kabinett vorgelegt hat. Humanitäre Organisationen wie “Mission Lifeline”, “Sea-Watch” oder “SOS Humanity”, die im Mittelmeer havarierte Flüchtlingsboote suchen und Leben retten, könnten demnach künftig vor deutschen Gerichten als Kriminelle verfolgt werden. Den Seenotrettern würden bis zu fünf Jahren Haft drohen. Griechenland und Italien verfolgen Helfer schon länger strafrechtlich

Konkret geht es um eine Änderung in Paragraf 96 des Aufenthaltsgesetzes. Dieser Paragraf regelt Strafen gegen Schleuser. Bislang kriminalisierte Deutschland hier nur Personen, die Menschen gegen Geld nach Europa bringen - im Wortlaut des Gesetzes: wer dafür “einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt”. Das betraf also Gruppen, die Geschäfte machen.

Wohlgemerkt: In Griechenland ist das anders, dort gibt es immer wieder Strafverfahren auch gegen Flüchtlinge selbst, die ein Boot steuern und damit anderen helfen. In Italien geht die Staatsanwaltschaft ebenfalls härter vor, auch gegen humanitäre Helfer, etwa die deutsche Organisation “Jugend Rettet”, deren Schiff Iuventa sie beschlagnahmt hat. Aber nach deutschem Recht ging das bisher nicht.

Der Vorschlag aus Faesers Innenministerium geht nun in die griechische und italienische Richtung: Nach dem Entwurf soll es für eine Strafbarkeit schon genügen, wenn jemand Ausländern dabei hilft, ohne Visum in die EU einzureisen, und zwar “wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern” - auch ohne Geld. Demnach könnten auch uneigennützige, selbstlose Helfer belangt werden.

Der entsprechende Passus findet sich etwas versteckt in dem Gesetzentwurf, der vom Bundeskabinett bereits beschlossen und in der vergangenen Woche an den Bundestag geschickt worden ist. An der entsprechenden Stelle heißt es lediglich kryptisch, dass die Wörter “Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a Nummer 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2 und 5” ersetzt würden durch die Wörter “Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2, Satz 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2, 3, 5 und 6, Satz 2”. Eine Begründung für diese Änderung findet sich dort nicht. Seenotretter handeln unentgeltlich - aber zum Vorteil Geflüchteter

Wer genau nachliest, stößt auf erstaunliche Textstellen. “Die Bundesregierung setzt hier Seenotrettungsorganisationen der Gefahr aus, nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland kriminalisiert zu werden”, sagt etwa der Berliner Rechtsanwalt David Werdermann, der für die Organisation “Gesellschaft für Freiheitsrechte” arbeitet. Das könne die Arbeit der Seenotretter-Vereine, die zu einem großen Teil in Deutschland sitzen, stark behindern, meint der Jurist.

Sea-Watch und SOS Humanity zum Beispiel sind Vereine mit Sitz in Berlin. Mission Lifeline sitzt in Dresden. “Man stelle sich vor, die Staatsanwaltschaft in Dresden käme auf die Idee, hier Ermittlungen einzuleiten”, sagt Werdermann. In Deutschland könne dies dazu führen, dass zum Beispiel Computertechnik oder sogar Konten der Gruppe beschlagnahmt werden. Ein Verdacht genüge.

“Da Seenotretter nicht gegen Entgelt oder zum eigenen Vorteil handeln, aber durchaus wiederholt und zugunsten mehrerer Ausländer”, könne man sie künftig unter den neuen Straftatbestand subsumieren, sagt auch die Leipziger Strafrechtsprofessorin Katrin Höffler, die ihre Karriere als Staatsanwältin in München begonnen hat.

Zwar würden Anwälte dann vor Gericht streiten: Ist es nicht menschenrechtlich gerechtfertigt, Schiffbrüchige aus dem Wasser zu ziehen und sie ans nächste Festland zu bringen? Ist es nicht sogar nach internationalen Übereinkommen geboten? Dennoch: Wie solche Diskussionen ausgehen würden, sagt die Strafrechtlerin Höffler, sei schwer vorherzusagen. “Problematische potenzielle Kriminalisierung von humanitärem Aktivismus”

Der Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke (Grüne) sagt: “Ich erwarte von Ministerin Faeser, diese Verschärfung zurückzunehmen. Ein Angriff auf Retterinnen und Retter ist inakzeptabel.” Pahlke war selbst bis 2019 im Vorstand der Organisation “Jugend rettet”, die im Mittelmeer aktiv ist. Vier Deutsche aus dieser Organisation sind derzeit in Italien angeklagt. Sie warten auf ihren Prozess.

Im Juli 2018 war Pahlke deshalb auch von der AfD-Bundestagsfraktion angezeigt worden, wegen vermeintlichen “Einschleusens von Ausländern” über das Mittelmeer. Das Verfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft Berlin letztlich eingestellt. Die knappe Begründung: Es bestehe keine Strafbarkeit.

Die nun vom Innenministerium vorgeschlagene Änderung sei “eine ziemlich problematische potenzielle Kriminalisierung von humanitärem Aktivismus”, fügt die Rechtsprofessorin Höffler noch hinzu, “und auch eine Pervertierung staatlicher Fürsorgeideale. Die europäischen Länder weigern sich, Menschen in Lebensgefahr zu retten, und kriminalisieren diejenigen, die dieses Staatsversagen auf eigene Faust versuchen zu kompensieren.”

Das Auswärtige Amt zahlt Seenotrettungsorganisationen bis zu zwei Millionen Euro im Jahr, wie eine Sprecherin kürzlich bestätigte. Grundlage ist ein Bundestagsbeschluss. Italiens Regierungschefin Giogia Meloni hatte sich im Sommer in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über diese staatliche Hilfe beschwert, weil die Schiffe der privaten Organisationen im Mittelmeer gerettete Migranten und Flüchtlinge dann in Italien an Land bringen.

  • Ooops@kbin.social
    link
    fedilink
    arrow-up
    34
    arrow-down
    1
    ·
    1 year ago

    “Ist es nicht menschenrechtlich gerechtfertigt, Schiffbrüchige aus dem Wasser zu ziehen und sie ans nächste Festland zu bringen?”

    Ich würde sogar einen Schritt weitergehen: Ist Schiffsbrüchigen nicht zu helfen nicht als unterlessene Hilfeleistung auf See strafbar?

    • luckystarr@feddit.de
      link
      fedilink
      Deutsch
      arrow-up
      4
      ·
      1 year ago

      So lange du auf internationalen Gewässern bist, interessiert es nach deutschem Gesetz nicht wenn du jemand vorsätzlich ertrinken lässt. Rettest du ihn, ist es nach deutschem Gesetz auch egal. Die Person dann nach Europa zu bringen wäre nach dem Vorschlag aber illegal.

      Die Frage ist also, wenn das Gesetz würde, wo soll man die Geretteten denn bringen?

      • geissi@feddit.de
        link
        fedilink
        Deutsch
        arrow-up
        21
        ·
        1 year ago

        So lange du auf internationalen Gewässern bist, interessiert es nach deutschem Gesetz nicht wenn du jemand vorsätzlich ertrinken lässt.

        Sicher?

        Der Flaggenstaat ist nach Art. 98 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens verpflichtet, die Vorgaben der Seerechtskonvention in nationales Recht umzusetzen.[17]

        Durch Deutschland ist dies mit der Verordnung über die Sicherung der Seefahrt (SeeFSicherV) erfolgt, die jeden Schiffsführer zur Hilfeleistung verpflichtet. Verstöße stellen Straftaten nach § 323c StGB oder Ordnungswidrigkeiten nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 SeeFSicherV dar.[17]

        • not_exactly@feddit.de
          link
          fedilink
          Deutsch
          arrow-up
          8
          ·
          edit-2
          1 year ago

          Neben den internationalen Übereinkommen hat übrigens auch das deutsche Strafgesetzbuch im Ausland und in internationalen Gewässern begrenzte Geltung.

          Die Schiffe von Sea-Watch (und befreundeten Organisationen) fahren unter deutscher Flagge, so auch die aktuell eingesetzte Humanity 1 und vermutlich auch die kommende Sea Watch 5. Für diese Schiffe gilt also § 4 StGB:

          Das deutsche Strafrecht gilt, unabhängig vom Recht des Tatorts, für Taten, die auf einem Schiff oder in einem Luftfahrzeug begangen werden, das berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen.

          Die Annahme, dass man im Ausland oder in internationalen Gewässern (zumindest im Hinblick auf deutsches Recht) grundsätzlich tun und lassen kann, was man will, ist weit verbreitet, aber falsch.